Wir alle haben hin und wieder Angst. Ich zum Beispiel gehe ungern durch dunkle leere Straßen. Auch Autofahren in der Nacht bereitet mir großes Unbehagen.
Ich habe auch manchmal Angst vor einem Auftritt. Davor, bei der Rede nicht zu bestehen, einen Fehler zu machen. Diese Angst ist eine Angst vor möglicher Enttäuschung davor, nicht gut genug zu sein.
Es gibt Angst, die hat etwas mit unserem Überlebensinstinkt zu tun und es gibt Angst, die hat etwas mit dem kleinen Kind in uns selbst zu tun. Mit dem bedürftigen Kind, das gefallen will, geliebt werden will und das alles richtig machen will. Mit dem Kind das leicht zu verunsichern ist. Keine Sorge, ich packe meine Küchenpsychologie gleich wieder weg.
Aber es ist doch recht auffällig dass die meisten Politiker, wenn man genau hin schaut, Angst haben. Weil sie keine Kinder mehr sind, ist das nicht so auffällig. Sie verstecken sich nicht hinter dem Rockzipfel der Mutter, im Gegenteil, sie freuen sich, wenn sie auf der Titelseite sind. Aber sie haben Angst vor Fehlern, sie wollen und müssen spüren, dass sie gemocht werden, dass sie ihre Sache gut machen, sie brauchen Bestätigung. Sie haben Angst vor Liebesentzug. Liebesentzug der Wählerinnen und Wähler. Liebesentzug der eigenen Partei. Liebesentzug der Journalistinnen und Journalisten. Und klar, sie haben Angst vor dem Verlust ihrer scheinbaren gesellschaftlichen Bedeutung und Wichtigkeit. Und damit sind wir wieder bei dem kleinen Kind, das gesehen und vor allem geliebt werden will.
Alle Politiker, die ich so in meinem Leben getroffen habe, hatten mal zu Beginn ihrer politischen Karriere eine Vorstellung, von dem, was sie ändern wollten. Manchmal ging’s um kleine Dinge, wie den Park vor der Haustüre, und oft auch um große Idee davon, wie man die Welt besser macht.
Nun, um die Welt besser zu machen, muss man ja eigentlich nicht Politik machen, sondern man könnte auch Elternsprecherin oder Kindergartenpädagoge werden, man könnte eine Firma gründen und ein guter Chef sein und man könnte ein innovatives Produkt auf den Markt bringen, das das Leben vieler Menschen zum Besseren verändert. Dafür, dass auch das gute Möglichkeiten sind die Welt zu verändern und besser zu machen, gibt es in Österreich nicht ausreichende Anerkennung. Also werden die Leute Politiker.
Es gibt wahrscheinlich noch einen Grund, warum Menschen Politikerinnen und Politiker werden: Weil sie eitel sind, ein kleines bisschen zumindest. Eitelkeit ist zwar angeblich eine Todsünde, aber doch recht weit verbreitet. Und Eitelkeit hat wieder etwas mit Bestätigung zu tun. Denn wer eitel ist, braucht viel Bestätigung dafür, dass ich schön, klug und einflussreich bin, dass ich geliebt und gesehen werde.
Wenn man also viel Bestätigung braucht um sich “ganz” zu fühlen, dann hat man meistens auch viel Angst davor, diese Bestätigung nicht zu bekommen. Eine Abwärtsspirale.
Wenn ich in meiner Funktion als Geschäftsführerin in einer internationalen NGO heute in einer Sitzung mit meinem CEO einen Fehler mache, dann wissen das er und ich. Ich fühle mich nachher wahrscheinlich trotzdem schlecht, aber meine Demütigung bleibt zwischen uns.
Wenn Politiker Fehler machen, dann wissen das ganz schnell, ganz viele Menschen. Die Demütigung, die Enttäuschung ist öffentlich. Und das ist für eitle, ängstliche Menschen besonders schlimm. Also versuchen sie mit aller Kraft, die ihnen ihre Angst gibt, keine Fehler zu machen.
Angst ist, wie wir wissen zumeist kein guter Ratgeber, außer vielleicht man läuft vor einem Tiger davon. Aber selbst dann wäre es manchmal besser sich auf den Baum zu flüchten als weiter zu rennen.
Angst vor Bedeutungsverlust und Liebesentzug ist ein noch schlechterer Ratgeber. Wenn man Angst hat, dann wird die Welt nämlich plötzlich ganz klein und man schaut nicht mehr links und rechts, sondern nur noch in den Tunnel rein.
Wenn man Angst hat, ist es schwer kreativ und um die Ecke zu denken. Dann ist es auch schwer etwas anderes als das Problem – also die Gefahr – zu sehen.
Angst ist außerdem ansteckend. Wenn Politiker Angst haben, dann überträgt sich ihre Angst meistens auf die Menschen, die ihnen zuhören. Und umgekehrt, wenn Wählerinnen und Wähler Angst haben, dann führt das schnell dazu, dass ängstliche Politiker noch mehr Angst bekommen. Angst vor der Angst ihrer eigenen Wählerinnen und Wähler also.
Als ich mit 24 vor der Frage stand, ob ich Politikerin werden sollte, hatte ich offen gestanden keine Ahnung, worauf ich mich einließ. Ich las schlaue Bücher zur Zukunft (und zur Vergangenheit) meiner Partei. Aber auch die Schilderungen von Herzinfarkten, die zu Argumenten für die Sicherung der eigenen Position in der Partei wurden und komplexer Intrigen wappneten mich nicht für das Ausmaß an Niedertracht, das mir in den folgenden Jahren in der Politik begegnete. Vielleicht muss man das auch alles mal selber spüren, um zu wissen, was es wirklich mit einem macht.
Mit 24 hatte ich dieses herrliche Gefühl das mir die Welt zu Füßen liegt und natürlich hatte ich ein gesundes Maß an jugendlicher Selbstüberschätzung.
Plötzlich landete ich aber in einer Welt, in der nicht nur alle doppelt so alt waren wie ich, sondern in der es vor allem um die Bestätigung der eigenen Position ging. Ich stellte erstaunt fest, dass Titel auf Türschildern zu einer Sache von Leben und Tod wurden. Eine Sache für die man Banden wie am Schulhof gründete, um sich mit den anderen in der Pause zu prügeln. Meistens wegen eines Jobs, der dem Anführer der Bande – erraten! – Bedeutung und Bestätigung sichern sollte.
Das soll jetzt nicht so klingen, als wäre die Politik ausschließlich Sucht nach Selbstbestätigung, denn das ist sie nicht. Aber sie ist ein System voller Schulhof-Bullies und angstgetriebener Menschen. Menschen nämlich, die die Abstiegsängste ihrer Wählerinnen teilen.
So mancher Industriekapitän hat in den letzten Jahren die Erhöhung der Gehälter für Politiker gefordert, weil diese angeblich nicht genug verdienen würden und daher viele kluge Köpfe nicht in die Politik gehen würden. Erstens bin ich der Meinung, dass Politik zu machen, um viel Geld zu verdienen, keine gute Idee ist. Zweitens ist es aber auch so, dass der durchschnittliche Hinterbänkler als Politiker mehr verdient, als jemals in seinem bisherigen Job als Lehrer, Sachbearbeiter in einem Ministerium oder Landwirt. Und auch deshalb ist es für manche so fürchterlich schwierig den richtigen Zeitpunkt zu finden, an dem es genug ist, an dem es gut wäre, aus der Politik auszusteigen. Nicht nur wird man nachher vielleicht nicht mehr zu all den tollen Empfängen eingeladen und hofiert, nein, man verdient auch weniger.
Es gibt also für die meisten Menschen keine guten Gründe die Politik schnell wieder zu verlassen. Aber um in dem System längerfristig bestehen zu können, muss man Fehler vermeiden und man muss unablässig die eigene Angst vorm Abstieg niederringen, in dem man sich Titel sichert, Schattenkämpfe ausficht, sich damit Applaus von außen holt und das eigene Bild ganz oft in der Zeitung sieht. Das gelingt zumeist aber nur zu einem hohen Preis: andere fertig zu machen nämlich und sich selbst zu erhöhen.
Nun, haben Sie kein Mitleid mit Politikern! Sie sind erwachsene Menschen und wissen zumeist worauf sie sich einlassen oder zumindest finden sie es irgendwann heraus und können dann jederzeit eine Entscheidung, für oder gegen das System treffen. Auch wenn sie dafür über ihre eigene Angst vor dem Bedeutungsverlust hinauswachsen müssen.
Die Sache mit der Angst hat aber noch viel weitreichendere Konsequenzen als für die psychische Gesundheit von Politikerinnen und Politiker. Die Sache mit der Angst fördert nämlich die Mittelmäßigkeit und die “Ja-Sagerei” und das ist das eigentliche Problem.
Ein System in dem ganz viele Menschen unablässig Angst haben, ist für neue Ideen, für offene, kontroverse Diskussionen, für Querdenkerinnen und Querdenker, für Menschen mit einer Vision kein Platz. Sie stellen nämlich eine Bedrohung für die Bedeutung der Ängstlichen dar, weil sie mehr Aufmerksamkeit bekommen, weil sie den Status Quo hinterfragen.
Wer besonders gute Ideen hat in diesem System, wer besonders viel Zuspruch hat von außen, der wird zu einer Bedrohung im harten Konkurrenzkampf gegen den Abstieg. Wer den Kopf raussteckt, der wird bald um ein Kopf kürzer gemacht.
Was also tun? Nun Psychotherapie auf Krankenschein für alle Politikerin und Politiker wäre vielleicht eine erste Möglichkeit, vermutlich auch eine ziemlich gute Pointe am oft zitierten Stammtisch. Verhaltensänderungen sind aber natürlich auch ohne vorhergehende Krankschreibung möglich, deshalb hiermit ein Plädoyer für einen radikalen Perspektivenwechsel.
Erstens, wir alle haben Anteil an diesem System. Als Wählerinnen und Wähler können wir uns jedes Mal beim Kreuzerlmachen die Frage stellen: Ist diese Politikerin, dieser Politiker bereit für seine Ideale nicht nur in die Politik zu gehen, sondern sie auch jederzeit wieder zu verlassen? Hat dieser Politiker, diese Politikerin in ihrem Leben schon mal was anderes gemacht als in der “Blase” von Studentenpolitik, Kabinettsjobs oder Journalismus zu arbeiten? Ist sie sichtbar bereit, sich mit Neuem zu beschäftigen? Ein Praktikum zu machen? Eine Auszeit von der Politik zu nehmen? Sucht er oder sie die ernsthafte Auseinandersetzung mit anderen Ideen als den eigenen?
Ist die Antwort “nein”, können Sie ziemlich sicher sein, dass sich die Person längerfristig ängstlich an ihr Mandat klammern wird, um den Preis der Unabhängigkeit, der besseren Lösung und der Veränderung.
Mit einem Wort: Wir sollten alle gemeinsam an einer gesellschaftlichen Übereinkunft arbeiten, dass man Politik besser nicht sein ganzes Leben lang machen sollte. Denn die Politik aufrechten Ganges und selbstbestimmt zu verlassen gelingt derzeit noch nicht vielen.
Die alte Idee der Mandatsrotation war vielleicht gar nicht so schlecht. Ja klar, Politik ist auch ein Handwerk. Man braucht schon seine Zeit bis man die Spielregeln verstanden hat und für die eigenen Zwecke nutzen kann, aber wenn man sie allzu sehr internalisiert, dann kommt auch nichts Gutes raus dabei. Aus eigener Erfahrung würde ich sagen: Zehn Jahre sind genug.
Damit wir wegkommen von den Politikern, die ihr ganzes Leben in der Politikblase verbringen, braucht es aber auch Medien, die Politikern Mut machen auch mal was anderes zu probieren. Die Veränderung begrüßen. Und es braucht Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Politikern nach zehn Jahren harter Arbeit an der Gesellschaft eine Chance geben, was Neues zu machen.
Dieser Perspektivwechsel würde uns zu einer neuen Mut-Kultur bringen: Heute ist der politische Alltag davon geprägt, dass sich Menschen gegenseitig den Kopf darüber einschlagen, wer die präzisere Definition des Problems hat. Natürlich ist es gut, wenn man das Problem versteht, das man zu lösen hat. Noch viel wichtiger ist es aber Lösungen aufzuzeigen. Wir brauchen also einen Wettstreit der besten Lösungen. Und damit das klappt, auch eine Fehlerkultur. Denn wer sich etwas Neues traut, wird zwangsläufig Fehler machen. Heute zeigen wir mit dem Finger auf Patzer, wie damals am Schulhof. Morgen sollten wir fragen: was kann ich aus dem Lernen, was du aus deinem Fehler gelernt hast?
Das ist die neue politische Kultur, die ich mir wünsche. Denn gute Lösungen für unsere Probleme gibt es zuhauf, jetzt brauchen wir nur noch Politikerinnen und Politiker, die bereit sind öfter mal was Neues zu probieren.